Nachrichten aus den Produktionsregionen: Warum die Zivilgesellschaft im Kampf gegen Zwangsarbeit unverzichtbar ist
Die jüngsten Erkenntnisse von Electronics Watch zum Risiko von Schuldknechtschaft und Zwangsarbeit, dem WanderarbeiterInnen in der Elektronikindustrie Thailands ausgesetzt sind, unterstreichen, wie unverzichtbar starke und wachsame zivilgesellschaftliche Organisationen sind, die das Risikomonitoring übernehmen, ArbeiterInnen über ihre Rechte informieren und in Zusammenarbeit mit Arbeitgebern, Behörden und Auftraggebern im Ausland Lösungen ausarbeiten können.
Bedauerlicherweise sind jedoch in Thailand sowohl die Meinungsfreiheit und die Handlungsfähigkeit der Zivilgesellschaft durch die seit Langem üblichen Verleumdungsklagen gegen WanderarbeiterInnen, die über Verletzungen ihrer Rechte berichten, sowie durch das jüngste Urteil eines thailändischen Gerichts gegen Andy Hall bedroht, einen Experten für die Rechte von WanderarbeiterInnen und Recherchepartner von Electronics Watch. Seine Verurteilung erfolgte offenbar als Vergeltung für seine Berichte über Verletzungen der Menschenrechte von WanderarbeiterInnen. (Mehr zum Verfahren gegen Andy Hall siehe Finnwatch).
Electronics Watch äußerte erstmals im November 2016 Besorgnis über das Risiko von Zwangsarbeit, dem WanderarbeiterInnen ausgesetzt sind. Das Burmese Migrant Worker Rights Network (MWRN) in Thailand berichtete, dass ein Elektronikunternehmen widerrechtlich die Reisepässe und andere Identitätsdokumente von WanderarbeiterInnen aus Myanmar einbehielt und ihnen exorbitante und sittenwidrige Einstellungsgebühren verrechnete. Nachdem MWRN und Electronics Watch Branchenverbände auf diese Situation aufmerksam machten, kam es zu Abhilfemaßnahmen: MRWN berichtete bald darauf, dass die ArbeiterInnen ihre Reisepässe und Arbeitsgenehmigungen zurückbekommen hatten und der Arbeitgeber damit begonnen hatte, sie für rechtswidrige Gebühren und Lohnabzüge zu entschädigen.
Doch nach Erkenntnissen von Electronics Watch ist das Risiko von Zwangsarbeit nach wie vor gegeben. Für eine Beschäftigung ohne gültige Arbeitsgenehmigung drohen seit 2017 empfindliche Geldstrafen, und wie WanderarbeiterInnen berichteten, mussten sie zur Erlangung solcher Genehmigungen hohe Schulden aufnehmen, die dem Lohn für 55-76 Arbeitstage inklusive Überstunden entsprechen. Das sowohl kostspielige wie langwierige Verfahren zwang ArbeiterInnen dazu, ihre gegenwärtige Beschäftigung zu beenden, nach Myanmar aus- und wieder nach Thailand einzureisen und sich dann nochmals nach Myanmar und zurück nach Thailand zu begeben, wo sie dann endlich rechtskonform direkt von ihrem Arbeitgeber eingestellt werden konnten. Die Beschäftigung von WanderarbeiterInnen in Leiharbeit ist seit November 2017 verboten.
Einige ArbeiterInnen gaben an, dass sie sich zur Finanzierung des Registrierungsverfahrens Geld von informellen Geldverleihern oder „Kredithaien" ausborgten, während andere berichteten, dass sie zusätzlich zu Krediten auf ihre Ersparnisse oder auf Geld zurückgegriffen hätten, das sie nach Hause schicken wollten. ArbeiterInnen berichteten auch, dass sie sich genötigt sahen, übermäßige Überstunden zu leisten, um ihre Schulden zurückzahlen zu können.
In Thailand leben schätzungsweise vier Millionen registrierte und nicht registrierte WanderarbeiterInnen aus Myanmar, die alle dem Risiko von Schuldknechtschaft und Zwangsarbeit ausgesetzt sind. Doch ihr Schicksal kommt ohne die Untersuchungen und Berichte der Zivilgesellschaft und von Menschenrechtsaktivisten wie Andy Hall nur selten ans Licht. Das Einstellungsverfahren ist kompliziert, und es wird zweifellos eine gewisse Abstimmung zwischen Kunden von Markenherstellern und Arbeitgebern geben müssen, um hier Abhilfe zu schaffen. Ein einfacher und wirksamer Schritt vorwärts wäre jedoch, wenn die Branche in transparenter Weise mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten würde, um Lösungen auszuarbeiten. Das ist besonders im aktuell repressiven Klima in Thailand wichtig. Wenn die Branche signalisiert, dass sie den Wert der Zivilgesellschaft anerkennt, wäre das eine deutliche Botschaft an die Regierung Thailands, die Rolle von MenschenrechtsaktivistInnen bei der Gewährleistung menschenwürdiger Arbeitsverhältnisse zu würdigen und zu respektieren.